EX und CX: Die zwei Säulen erfolgreicher Unternehmen
Interview mit CX-Expertin Myra Golden
Wie stark sind eigentlich die Mitarbeitererfahrung (Employee Experience oder kurz EX) und die Kundenerfahrung (Customer Experience, CX) miteinander verwoben? Sehr stark. Heute ist klar, dass das eine nicht ohne das andere zu bekommen ist. Zufriedene und motivierte Mitarbeitende schaffen eine optimale Customer Experience, die wiederum zu mehr Interaktion, Zufriedenheit und letztlich Treue auf Kundenseite führt.
Im folgenden Gespräch mit der CX-Expertin Myra Golden gehen wir auf Herausforderungen für die Mitarbeitenden ein, wir besprechen wie Unternehmen die Mitarbeitererfahrung optimieren können und wie sich dadurch die Kundenerfahrung verbessert.
Brittany Klokkenga: Wie dem Momentive Bold Decisions Report zu entnehmen ist, gibt es für den Kundensupport zwei Haupthürden auf dem Weg zum Erfolg: die „Mitarbeitermotivation“ und die „Echtzeiterfassung von Kundenfeedback“. Handelt es sich bei diesen beiden Faktoren auch Ihrer Meinung nach um die Haupthürden? Und wenn dem so ist: Wie können die Teams diese überwinden?
Myra Golden: Die Antwort auf die erste Frage ist „Ja“. Diejenigen von uns, die im Bereich Customer Experience tätig sind, mussten sich schon immer der Aufgabe der Mitarbeitermotivation stellen. Aber durch den Druck, den die Pandemie verursacht hat, ist dieses Thema absolut in den Vordergrund gerückt.
Zum einen war der schnelle Umstieg von der Arbeit in Präsenz auf die Arbeit im Homeoffice für viele eine große Herausforderung. Am Anfang der Pandemie war es nicht untypisch, dass die Mitarbeitenden im Kundenservice plötzlich in schwierigen Situationen arbeiten mussten: der Hund bellte, die Kinder brauchten Homeschooling und dann war das Internet nicht einmal immer zuverlässig. Und trotzdem sollten sie die Kundenerwartungen erfüllen.
Erschwert wurde die Lage durch eine andere, gleichzeitig ablaufende Entwicklung: Die Kund:innen wurden schwieriger, denn sie machten sich große Sorgen, und sie waren ungeduldiger. Dann kam noch obendrauf, dass viele Mitarbeitende kündigten, was für die bleibenden noch mehr Arbeit bedeutete. Insofern ist in den letzten zwei Jahren die Gefahr von Burnout bei den Fachkräften im Kundenservice sehr viel größer geworden.
Für EX- und CX-Verantwortliche ergibt sich daraus die Frage, wie sie die Mitarbeitenden, die geblieben sind, motivieren. Die Antwort ist: Wir müssen sie gut betreuen. Und uns muss bewusst sein, dass sie mehr Pausen benötigen. Vielleicht müssen sie mehr Freiraum haben und sich bei der Arbeit zurückziehen können. Viele Menschen, die im Kundenservice arbeiten, verbringen 80 % oder sogar mehr ihrer Arbeitszeit am Telefon. Das ist sehr anstrengend.
Echtzeitfeedback ist ebenfalls ein Problem. Das war schon immer so, denn wir tendieren dazu, jede:r für sich zu arbeiten. Darüber hinaus werden wir für die Dinge, die uns erzählt werden, unempfindlich, denn wir hören sie jeden Tag. Aber Feedback ist gleichzeitig eine der größten Chancen, proaktiv zu handeln. Die Mitarbeitenden im Kundensupport haben den ersten Kundenkontakt und meistens sind sie es, die als Erste von Schwierigkeiten und Problemen erfahren. Und wenn damit nicht richtig umgegangen wird, könnte das zu einem Produktrückruf eskalieren. Die andere, positive Seite der Medaille ist, dass Feedback ein Katalysator für Innovation ist oder die Chance sein kann, um beispielsweise eine Engstelle zu beseitigen.
Wir müssen über das Übliche hinausgehen, damit wir Feedback routinemäßig erfassen, die Daten detailliert analysieren, darüber reden und mit Maßnahmen, die schnellen Erfolg bringen, die Customer Experience optimieren. Für viele Unternehmen ist der Umgang mit Feedback jedoch eine Herausforderung, da ihnen die Mittel fehlen.
Klokkenga: Für den Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen ist es ausgesprochen wichtig, dass die Mitarbeitenden im Kundenservice erstklassige Kundenerfahrungen bieten, vor allem in schwierigen Gesprächen, denn das reduziert die Abwanderung. Ist es heute, nach der Pandemie, wichtiger, die Techniken zur Deeskalation und Konfliktlösung zu beherrschen? Und wenn ja, warum?
Golden: Ja, diese beiden Fähigkeiten sind heute entscheidender denn je. Es war zwar schon immer Aufgabe der Kundenbetreuung, Probleme zu lösen und mit Beschwerden umzugehen, aber durch die Pandemie hat für den Kundenservice ein neues Zeitalter begonnen. Die Kund:innen sind wesentlich besorgter. Und auch ungeduldiger als in der Vergangenheit.
Die durch die Pandemie begründeten Richtlinien, Probleme und Hindernisse haben die Arbeit für die Kräfte im Kundenservice erheblich erschwert. Denken Sie nur an die Supply-Chain. Die Unternehmen verlangen von den Mitarbeitenden im Kundenbereich, über Verzögerungen zu reden, ohne dass konkrete Daten bekannt wären. Schließlich kann sich die Auslieferung der Produkte um Wochen oder sogar Monate verzögern.
Auch wenn wir uns langsam von einigen Corona-induzierten Problemen zu entfernen scheinen, möchte ich hier kurz erwähnen, dass verschiedene Corona-Richtlinien für die Mitarbeitenden in der Kundenbetreuung aufgrund der Politisierung und Polarisierung rund um die Pandemie schwer durchzusetzen waren.
Um mit solchen Situationen umzugehen, versuche ich meinen Kunden zu zeigen, wie sie hinsichtlich einer Maskenpflicht für das Personal eine negative Einstellung verhindern und stattdessen das Gespräch suchen können. Oder wie sie Richtlinien zu ihrem Schutz umsetzen können, selbst wenn sonst niemand in ihrer Umgebung dies tut.
Klokkenga: Im GetFeedback Ultimate Guide to Customer Service sprechen Sie über die 3R zur Deeskalation: Recognize, Reframe, Resolve, also das Anerkennen, Umdeuten und Lösen. Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie ein:e Mitarbeitende:r diese Taktik erfolgreich angewandt hat?
Golden: Sicher doch. Einer meiner Kunden ist ein Fensterhersteller, der mit Problemen in der Lieferkette zu kämpfen hatte und dessen Kundenservice regelmäßig Fragen zu Verzögerungen beantworten musste.
In einem Fall hatte einer seiner Kunden für sein Haus 28 Fenster bestellt und eine Vorauszahlung von 10.000 $ geleistet. Das Unternehmen kommunizierte direkt die potenziellen Probleme in der Lieferkette und der Kunden wusste somit, dass es fünf bis sechs Monate dauern könnte, bis die Fenster für den Einbau erhältlich sein würden.
Vier Monate später musste das Unternehmen den Kunden leider anrufen und ihm erklären, dass zwar eins der 28 Fenster eingetroffen war, aber beim Prüfen des Status für die anderen Fenster feststellen musste, dass die Bestellung nie aufgegeben worden war. Es würde nochmals sechs oder sieben Monate dauern, bis die anderen 27 Fenster kommen würden.
Der Kunde war natürlich sehr verärgert. Verständlicherweise. Aber das Unternehmen versuchte, mithilfe der 3R-Methode, die Situation zu entschärfen und besser dazustehen.
Als Erstes kam die Anerkennung, wie frustrierend die Angelegenheit für den Kunden sein musste: Das Unternehmen äußerte volles Verständnis für den Ärger des Kunden und gab zu, einen eigentlich unverzeihlichen Fehler gemacht zu haben. Dann ging das Unternehmen zu Schritt zwei über, dem Umdeuten: Es gab der Situation einen anderen Rahmen, indem es nicht mehr über das Problem sprach, sondern über das Bemühen des Unternehmens, dieses Problem zu lösen. Nach einigen Nachforschungen konnte es Schritt drei einleiten: die Lösung. In diesem Fall übernahm der Fensterhersteller die Kosten für eine vorgezogene Fertigung der Fenster, um die ursprüngliche Lieferfrist einzuhalten. Dann bemühte sich das Unternehmen, im engen Kontakt mit dem Kunden zu bleiben und ihn über jeden Schritt zu informieren.
Während der Kunde verständlicherweise von der Situation nicht begeistert war, schätzte er aber die Einstellung und die Bemühungen des Unternehmens sowie die präsentierte Lösung und blieb diesem treu.
Klokkenga: Laut einer Studie von Momentive ist Stress der Hauptgrund für Kündigungen durch die Beschäftigten. Außerdem geben 22 % der Studienteilnehmenden, die eine Kündigung planen, ausdrücklich als Grund an, sich „um ihre mentale Gesundheit kümmern zu müssen“. Welche Ressourcen benötigen die Professionals in der Kundenbetreuung, um psychisch wie mental gesund zu bleiben und gleichzeitig ihre Aufgaben effektiv bewältigen zu können?
Golden: Diese Statistik macht mich wirklich traurig. Aber ich weiß, dass sie stimmt. So viele Menschen äußern, dass der Stress so groß ist, dass er ihre Gesundheit beeinträchtigt. Wenn eine Person eine klare Beeinträchtigung ihrer mentalen oder psychischen Gesundheit beobachtet, ist es der Job nicht wert zu bleiben. Mein Rat in solchen Fällen ist, seine oder ihre Fähigkeiten an anderer Stelle einzubringen. Aktualisieren Sie Ihren Lebenslauf und suchen Sie nach einem Unternehmen, das mehr Unterstützung bietet.
Gleichzeitig müssen die EX- und CX-Verantwortlichen diejenigen Mitarbeitenden, die sich entscheiden zu bleiben, beraten und unterstützen, denn auch sie haben höchstwahrscheinlich kurz- oder langfristig mit den Auswirkungen von Stress zu kämpfen. Sie könnten die Mitarbeitenden ermutigen, ihrer Gesundheit Vorrang einzuräumen, indem sie Beratungsprogramme oder andere gesundheitsfördernde Maßnahmen des Unternehmens nutzen. Oder sie könnten die Mitarbeitenden daran erinnern, den ihnen zustehenden Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Als Führungskräfte stehen wir in der Verantwortung, bei unseren Teammitgliedern Anzeichen für Burnout, Stress und Überforderung zu erkennen und sie zu ermutigen, einen Tag frei zu nehmen oder sich krank zu melden, wenn dies erforderlich scheint.
Wir müssen den Menschen ein Gefühl von Ausgeglichenheit und Ruhe geben, anderenfalls könnte die Burnoutfalle zuschnappen. Und das verstärkt dann nur die derzeitige große Kündigungswelle.
Klokkenga: Wie wirkt sich die Mitarbeitererfahrung (EX) auf die Kundenerfahrung (CX) aus? Können Sie uns aus Ihrer langen Beratungstätigkeit für CX- und Serviceteams Beispiele dafür nennen, welche positiven Effekte eine Priorisierung von EX und CX bewirken kann?
Golden: Jedes Jahr schaue ich mir „Die 100 besten Arbeitgeber“ der Zeitschrift Fortune an, und das seit 20 Jahren. Was die Ausgezeichneten von den anderen unterscheidet ist ihre Mitarbeitererfahrung. Dann schaue ich mir die Unternehmen an, die die höchsten Bewertungen in puncto Kundenerfahrung erhalten haben. Dies mache ich entweder über die JD Power-Umfrage oder branchenabhängig über eine ähnliche Befragung.
Setzen Sie nun beide in Beziehung, erkennen Sie, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist; oder konkret: Unternehmen haben mit großer Wahrscheinlichkeit nur dann eine hohe Bewertung bei der Customer Experience, wenn sie gleichzeitig auch bei der Mitarbeitererfahrung gut abschneiden.
Unterm Strich könnten wir sagen: Sie brauchen zufriedene, motivierte, entspannte Mitarbeitende, um eine optimale Customer Experience bieten zu können.
Klokkenga: 32 % der Kunden wandern bereits nach einer einzigen negativen Kundenerfahrung ab. Angenommen, ein Serviceteam misst aktuell noch nicht die Qualität der Interaktionen, welche Kennzahl sollte es dann erfassen, um zu erfahren, wo es im Vergleich steht? Und welche Metrik könnte es nutzen, um das Engagement im Service zu verbessern?
Golden: Meiner Meinung nach sind zwei Fragen entscheidend, vor allem, wenn es in der Customer Experience ein Problem gibt: 1.) Mit welchem Ziel haben Sie uns kontaktiert? und 2.) Welche Reibungspunkte sind bei Ihrem Kundenerlebnis aufgetreten?
Die Reibungspunkte müssen wir unbedingt kennen, denn hier besteht immer das größte Risiko für eine Abwanderung. Aber wenn wir das Problem umgehend lösen können und dann noch zur Zufriedenheit des Kunden oder der Kundin, haben wir eine gute Chance, diese Person zu halten. Und vielleicht empfiehlt sie uns dann sogar weiter.
Ich würde außerdem vorschlagen, die Net Promoter Score®-Frage einzusetzen: „Würden Sie uns einem Freund oder einer Freundin weiterempfehlen?“ Bei einer negativen Antwort wissen Sie, dass Sie daran arbeiten müssen.
Klokkenga: Der CX-Bericht 2022 von GetFeedback hat gezeigt, dass eine übergreifende Zusammenarbeit den Umsatz fördert. Von den Unternehmen, die eine starke Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen angaben, berichteten 72 % von einem „sehr hohen“ ROI. Welche Schritte, die schnell zum Erfolg führen, könnten die Serviceteams einleiten, um die Gefahr von Informationssilos zu umgehen?
Golden: Kommunizieren! Kommunizieren! Und nochmals kommunizieren! Es ist wesentlich, dass Sie zu der Einsicht gelangen, zusammen mehr erreichen zu können. Wenn ich also im CX tätig bin, dann wende ich mich ans Marketing. Und ich spreche mit dem Vertrieb. Es ist wichtig, die einzelnen Teams zusammenzubringen, um Beschwerden, Daten und Insights zu besprechen. Daraus kann etwas sehr Produktives entstehen. Bringen Sie alle an einen Tisch, oder in eine Videokonferenz, damit sie ihr Wissen teilen.
Sie könnten beispielsweise alle bitten, drei Dinge mitzuteilen, die auch für andere wichtig zu wissen sind. Wenn Sie den Weg ebnen, geben die Menschen eher Informationen weiter. Sagen Sie ihnen, dass sie im Meeting zwei oder drei Infos weitergeben sollen, die ihrer Meinung nach auch für andere von Interesse sein könnten, oder die Reibungspunkte in der CX entschärfen oder manches beschleunigen oder vereinfachen. Bitten Sie die Eingeladenen zu erzählen, was uns helfen könnte, proaktiv zu handeln.
Kundenfeedback ist eine wahre Goldgrube an Daten. Sie liefert Ihnen Marktintelligenz. Das ist Marktforschung, für die Sie nicht einmal mehr externe Kräfte bezahlen müssen. Das Einzige, was Sie tun müssen, ist, diese Daten anzuzapfen.
Klokkenga: Worauf können sich CX-Professionals Ihrer Meinung nach in diesem Jahr oder in den nächsten Jahren freuen? Wohin wird sich diese Branche Ihrer Ansicht nach entwickeln?
Golden: Ich meine, dass die CX-Professionals, vor allem der Kundenservice, sich über den bisherigen Erfolg freuen sollten. Feiern Sie die Beharrlichkeit, die Einsatzbereitschaft und die Leidenschaft der Menschen, die die Unternehmen durch die Pandemie geführt haben.
Alle sind auf Remote-Arbeit umgestiegen, und das in wenigen Wochen oder sogar innerhalb von Tagen! Für CX-Professionals war dies eine große Umstellung. Während andere Branchen mit Entlassungen zu kämpfen hatten, konnte unsere CX-Branche einen Zuwachs verzeichnen. Wir benötigten mehr Mitarbeitende im Support, weil wir seitdem mehr Menschen als je zuvor unterstützen.
Die Pandemie war eine unvergleichliche Herausforderung. Wir sollten feiern, dass wir sie gemeistert haben, eine der härtesten Herausforderungen überhaupt, welche die Unternehmen je getroffen hat. Und wir sollten uns über alles freuen, was die Zukunft bringt, denn wir haben die Stärke, die Kreativität, das Vermögen und die Beharrlichkeit, um auch die nächsten Hürden, denen wir uns stellen wollen, zu überwinden.
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