Die Kundenerfahrung (CX) wird immer entscheidender. Daraus könnte man schließen, dass die Zukunft für CX-Professionals immer rosiger wird.
Aber stimmt das?
Jeannie Walters, CEO und Gründerin von Experience Investigators™ hat 20 Jahre lang die besten und schlimmsten Kundenerlebnisse zusammengetragen und untersucht. Vor Kurzem hatte ich die Gelegenheit, mit ihr über die beruflichen Aussichten für CX-Professionals zu sprechen. Gibt es im Moment mehr Hürden oder mehr Chancen? Oder ist gerade jetzt der perfekte Zeitpunkt, eine Karriere auf dem Gebiet Customer Experience zu starten?
In dem folgenden Interview sind wir auf diese und weitere Fragen eingegangen.
Sara Staffaroni: Aus dem CX-Bericht 2022 von Momentive geht hervor, dass ein Drittel aller Unternehmen eine speziell für die CX verantwortliche Person haben, die sich auf die Customer Experience im Endkundengeschäft konzentriert. Wie sehen Sie diesen wachsenden Bedarf an CX-Verantwortlichen?
Jeannie Walters: Sie haben vollkommen Recht. Im Moment können wir einen wachsenden Bedarf an CX-Verantwortlichen verzeichnen. Nichtsdestoweniger ist „CX-Verantwortliche:r“ in den Unternehmen unterschiedlich definiert. Und viele dieser Professionals haben keine konkrete Erfolgsvorgabe.
Vielmehr werden sie oft mit einer vage formulierten Aufgabe betreut wie „Verbessern Sie unsere Customer Experience“, aber ohne dass ihnen eine klare Definition mit auf den Weg gegeben wird, was denn als erfolgreiches Verbessern angesehen werden würde. Und diesen Professionals stehen auch in der Regel nicht die nötigen finanziellen Mittel und Teams zur Verfügung.
Umso wichtiger ist es für CX-Verantwortliche, ein klares Bild ihrer Rolle zu haben und zu wissen, wo im Unternehmen ihr Platz ist. Sie sollten auch eine klare Vorstellung davon haben, wie Erfolg über die Zeit betrachtet aussehen sollte: in einem Jahr, in drei Jahren, in zehn Jahren.
Staffaroni: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass so viele Unternehmen CX-Verantwortliche einstellen, obwohl die Unternehmen selbst weder ein klares Bild von dieser Rolle haben noch von dem Erfolg, den sie erwarten sollten?
Walters: Das liegt, so glaube ich, an zwei Dingen: Zum einen haben viele Unternehmen jetzt schon eine Zeit lang Kundenfeedback erfasst und sie möchten nun mehr daraus machen. Beispielsweise das Feedback analysieren, um daraus strategische Entscheidungen ableiten zu können. Eine rein für die CX verantwortliche Person könnte diesen Firmen sehr dabei helfen.
Zum anderen beginnen viele Unternehmen zu erkennen, dass sich eine optimale Kundenerfahrung positiv auf ihr Geschäft auswirkt. Leider wird hier oft übersehen, dass zum Erreichen der eben genannten Ziele harte Arbeit und viel Disziplin erforderlich sind.
Staffaroni: Es hört sich so an, als ob Verantwortliche in Unternehmen zwar inzwischen erkannt haben, dass CX wichtig ist, aber noch nicht so recht wissen, wie sie diese messen oder den ROI (Return on Investment) daraus belegen können.
Walters: Ja, genau. Aus irgendeinem Grunde scheint es für die Unternehmen einfacher zu sein, sich auf die CX-Taktiken zu konzentrieren als auf die Ergebnisse. Ich habe schon von vielen Führungskräften Sätze wie „Wir benötigen eine Journey Map“ oder „Wir müssen Feedback erfassen“ gehört. Aber das Erfassen von Feedback führt ja noch zu keinem Ergebnis.
Zugegeben: CX ist noch ein neues Gebiet, aber oft genug erwartet die Geschäftsführung davon Wunder. Sie meinen, durch „Behandeln Sie die Kund:innen besser“ oder „Erfassen Sie einfach Feedback“ würde sich der ROI ganz von alleine realisieren. Aber so einfach ist das nicht: Customer Experience ist ungeheuer vielschichtig und umfasst viele verschiedene Aufgaben. Darüber hinaus ist das Messen der Ergebnisse wesentlich komplexer als allgemein angenommen.
Staffaroni: Das waren schon sehr viele Informationen, vielen Dank. Lassen Sie uns jetzt vielleicht konkret darauf eingehen, wie man einen guten Job in der Branche bekommen kann. Worauf sollten Bewerber:innen bei einem Vorstellungsgespräch für eine CX-Position achten?
Walters: Alle potenziellen Arbeitskräfte wollen sich mit der Mission und den Werten des Unternehmens, bei dem sie sich bewerben, identifizieren können. Dies gilt umso mehr für CX-Verantwortliche, denn sie müssen die angestrebte Customer Experience sowohl nach außen als auch im Unternehmen selbst leben. Und das geht nur, wenn sie sich wirklich mit der Mission und den Werten identifizieren können.
Ein weiterer Tipp: Fragen Sie die Führungsebene, wie für sie eine erfolgreiche CX aussieht: jetzt und in Zukunft. Erhalten Sie hier keine klare Antwort, sollten Sie selbst konkret werden und erzählen, wie Sie Erfolg in dieser Position definieren würden, und dabei gleich die wichtigsten Parameter, die KPIs, angeben.
Staffaroni: Sollte ein:e Bewerber:in nach bestimmten KPIs fragen?
Walters: Idealerweise, ja. Aber möglicherweise hat das CX-Programm des Unternehmens noch nicht die erforderliche Reife. Bewerber könnten beispielsweise auch fragen: „Woraus können wir in einem Jahr ableiten, dass wir erfolgreich waren?“
Falls die Organisation hier keine eindeutige Aussage trifft, könnten Bewerber sagen: „Als erstes Projekt würde ich gerne Erfolg definieren und wie wir ihn messen können.“
Erfolg braucht Zeit und Sie sollten darüber nachdenken, wie Sie die Kundenerfahrung kontinuierlich optimieren können, das heißt auch, die Partnerschaften einzubeziehen, die hierfür nötig sein könnten. Customer Experience ist nicht einfach das Erfassen von Feedback. Die Erkenntnisse wollen angewandt werden und dafür benötigen Sie die richtigen Tools und Ressourcen.
Staffaroni: Offensichtlich werden an die CX-Professionals viele Erwartungen gestellt, aber oft genug ohne dass die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Wie können Bewerber eine neue Position dahingehend bewerten, ob ihnen genug Mittel bereitgestellt werden?
Walters: Für Bewerber ist es sehr wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Customer Experience nicht einfach nur zwei nette Wörter sind. Sie müssen sich selbst die Frage stellen: „Wie kann ich erfahren, ob sie in diesem Unternehmen eine Priorität ist?”
Stellen Sie Fragen wie: „Angenommen, die Customer Experience gehört in Ihrem Unternehmen zu den Prioritäten, wie wird sie finanziert?“, „Wer ist am CX-Programm beteiligt?“, „Welche Tools stehen zur Verfügung und welche Investitionen wurden bereits gemacht?“. Und auch: „Sind Sie mit den bisherigen Investitionen zufrieden?“
An der Antwort des Unternehmens können Sie ablesen, ob das CX-Programm in der Tat Priorität hat und ob darin investiert wird.
Staffaroni: Anhand der Ergebnisse unseres Quiz zur CX-Reife kann man sagen, dass die meisten Organisationen Stufe 2 der Reife erreicht haben. Das heißt, dass sie auf ihrem CX-Weg noch sehr am Anfang stehen. Für ganzheitlich agierende CX-Verantwortliche könnte diese Situation große Chancen bergen, auf der anderen Seite aber auch große Herausforderungen. Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten?
Walters: Wenn eine Organisation bei Ihrer Anwerbung behauptet, Sie würden für umfassende CX-Aufgaben verantwortlich sein, Ihnen dann aber beispielsweise nur den winzigen Bereich Net Promoter Score® (NPS) überträgt, liegt ein Problem vor.
Viele Organisationen reden gerne von „ganzheitlicher Customer Experience“, konzentrieren sich aber in Wirklichkeit nur auf einen ganz kleinen Teil eines vollständigen CX-Programms.
Aber wenn Sie in so eine Situation kommen und sie als Chance auffassen, Änderungen einzuleiten und das Unternehmen in die nächste Phase führen zu können, dann liegt eine großartige Aufgabe vor Ihnen. Was zählt ist, dass Sie mit offenen Augen in die angebotene Position wechseln.
Staffaroni: CX-Professionals scheinen bei ihrer Karriere viele Dinge berücksichtigen zu müssen. Was sind für Sie die lustigsten oder komischsten Stellenbeschreibungen oder Interviews, die Ihnen bisher begegnet sind?
Walters: Das ist eine interessante Frage. Was tatsächlich häufiger passiert als Sie denken ist Folgendes: Sie bewerben sich auf eine CX-Position und jemand aus dem Unternehmen sagt zu Ihnen: „Customer Experience, das verstehe ich; es scheint nur sonst niemand zu verstehen.“ Oft denken die Menschen, dass sie CX verstanden haben, aber tatsächlich stimmt das nicht.
Oder Sie hören: „Unsere Kunden lieben uns!“ Natürlich gibt es Kunden, die eine Marke außerordentlich schätzen, und es ist schön, sich nur mit diesen Kunden zu beschäftigen. Aber ich erkläre den Unternehmen dann gerne, dass gute CX bedeutet, sich die unangenehmsten Kund:innen an ihrem schlimmsten Tag vorzustellen. Wenn der oder die Interviewer:in an diesem Punkt auf die Bremse tritt, ist dies ein Signal dafür, dass das Unternehmen für diese Arbeit noch nicht bereit ist.
Staffaroni: Wir haben nun ausführlich über die Unternehmen und ihre Kultur gesprochen. Jetzt würde ich gerne mit Ihnen auf die nötigen Fähigkeiten von CX-Professionals eingehen. Wie können sie sich von anderen abheben?
Walters: Häufig konzentrieren sich CX-Verantwortliche auf Dashboards und Berichte mit Kennzahlen, die die Kunden repräsentieren. Dabei ist es so entscheidend, die Story des Kundenerlebnisses mit dem zu verbinden, was dies tatsächlich für die Kunden bedeutet.
Ich würde immer empfehlen, in diese Dashboard-Berichte Zitate von Kunden aufzunehmen oder sogar Videos oder Mitschnitte aus dem Kundensupport. Durch diese lebendigen Beispiele können sich CX-Verantwortliche auszeichnen.
Staffaroni: Gibt es noch mehr, das CX-Verantwortliche bei einem Vorstellungsgespräch zeigen sollten?
Walters: Absolut! Gerade für CX-Verantwortliche ist das Bilden von Allianzen ganz wichtig, also die funktionsübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Führungskräften in dem Unternehmen. Sie wissen, dass beispielsweise CX und HR eng zusammenarbeiten sollten, Sie sollten dieses Wissen aber auch kundtun. Das Gleiche gilt für die Unterstützung, die das CX-Team dem Vertrieb und dem Marketing bieten kann. Sie sollten optimalerweise eine Einstellung zeigen, die besagt: „Wir müssen dies nicht nur angehen, sondern wir müssen auch all diese Brücken schlagen.“
Darüber hinaus sollten Sie fragen, ob das Unternehmen eine CX-Charta hat und ob Führungskräfte aus verschiedenen Abteilungen in einem Team zusammenarbeiten. Sie sollten auch abfragen, ob es Routinen dafür gibt, in welchen Teams Feedback erfasst, analysiert und umgesetzt wird.
Damit CX funktionieren kann, muss das gesamte Unternehmen an einem Strang ziehen.
Staffaroni: Ihre Aussagen passen sehr gut hierzu: Die Ergebnisse unseres CX-Berichts 2022 zeigen, dass Unternehmen mit dem höchsten Grad an Zusammenarbeit beim Thema Customer Experience auch einen höheren ROI aufweisen.
Walters: Richtig! CX-Verantwortliche können sich bei einem Vorstellungsgespräch diesen Bericht zunutze machen und damit belegen, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Staffaroni: Worauf können sich CX-Verantwortliche 2022 und darüber hinaus freuen?
Walters: Oh, da gibt es so vieles! Eine der positiven Folgen aus den letzten zwei Jahren ist, dass wir nun füreinander mehr Empathie empfinden. Ganz unerwartet konnten wir alle plötzlich einen Blick in das Heim von Kunden, Kollegen und Vorgesetzten werfen und bekamen eine Vorstellung davon, wie das alltägliche Leben der anderen aussieht.
Wir sollten hier auch die vielen Diskussionen über das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit erwähnen, vor allem, wenn es um die Mitarbeitenden im Kundensupport geht. Wir müssen hier mehr Rücksicht walten lassen und wir müssen gewährleisten, dass sie gut versorgt sind. Ich sehe immer mehr Beispiele in dieser Richtung und kann diese nur begrüßen! Denn die Mitarbeitenden im Support sind derzeit das Gesicht des Unternehmens.
Ich habe mich auch sehr über einige der Insights gefreut, die in Ihrem CX-Bericht 2022 aufgeführt sind, vor allem darüber, dass es eine Tendenz gibt, mehr CX-Verantwortliche einzustellen und sich auf die Customer Experience als Ganze zu konzentrieren.
Dies sind alles sehr spannende Entwicklungen und ich kann es kaum abwarten zu sehen, wo wir in einem Jahr, oder auch in mehreren Jahren, stehen werden.
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